Schon ihre Vielzahl versperrt den Blick auf den Einzelnen: Überfüllte Bahnhöfe, unzählige Feldbetten in großen Turnhallen, Massenlager und improvisierte Zeltstädte. Bilder des Chaos und der Fremde.

Die Bilder der Flüchtlinge sind Bilder anonymer Menschen. Auch die verwendeten Begriffe setzen auf Distanz: Kriegsflüchtlinge, Asylbewerber, Migranten oder Wirtschaftsflüchtlinge. Lebensrealität wird reduziert auf  Zahlen und Quoten. Das menschliche Individuum wird zu einer anonymen Entität:  Zu einer Registrierungs-Nummer in einer Erstaufnahmeeinrichtung, die dann per Zufallsverfahren einer Kommune zugewiesen wird.

Im verwaltungstechnischen Vokabular von Aufnahmeverfahren wird aus Menschen ein Prozess mit „Bleibeperspektive“, „Verteilungsschlüssel“ , „VIS/EURODAC-Abfrage“ und einer möglichen „Aufenthaltsgestattung“. Begriffe wie „Flüchtlingsströme“ bergen keine Anknüpfungspunkte für Empathie und Menschlichkeit.

NINE LIVES ist mein Versuch, diesen Menschen ihr einzigartiges Gesicht und ihre individuelle Geschichte zurück zu geben.

Sie heißen Ana , Mory oder Lassana. Ihre Flucht war riskant und sie haben Unvorstellbares ertragen, doch alle träumen von einer besseren Zukunft.

Wir reden viel über sie, doch wir reden zu wenig mit ihnen.

Mit der Zeit habe ich diese Menschen besser kennengelernt und gemeinsam entstand die Idee zu diesem Projekt. Sie haben mir ihr Vertrauen geschenkt und gewährten mir Einblick in ihr Leben. Durch sie hat sich meine Perspektive verändert:

Bilder entstehen erst in uns. Sehen ist das Erwachen unserer inneren Beziehung zu dem, was wir betrachten….

Eine Turnhalle wurde in kürzester Zeit umgerüstet. Mit Betten, Tischen etc. Das Rote Kreuz leistete großartige Arbeit, Ärzte helfen freiwillig und auch der Bürgermeister und die Beamten der Stadtverwaltung sind tatkräftig dabei. Ich selbst bringe mich als Dolmetscher ein und erfahre hierüber auch viel über das Leben und die Odysseen der Flüchtlinge. Manche ihrer Geschichten berühren mich tief.

Ich erfahre von Fluchtwegen quer durch die Sahara oder selbstmörderischen Bootsüberquerungen. Von Menschen, die ständig um ihre Leben fürchten, weil sie auf dem Weg von Banden gefangen genommen werden und gegen Lösegeld erpresst werden. Wir machen uns glaube ich keine Vorstellung von dem, was diese Menschen mitgemacht haben. Die zerstörerische Kraft des IS oder mancher Diktaturen, wie etwa in Eritrea, übersteigen meine Vorstellungskraft. Einer erzählt mir, dass er flüchten musste, weil seine Freundin zwangsverheiratet wurde. Ihr Leid war so groß, dass sie sich umbrachte und nun will man Rache ausüben an ihm. Ein anderer schildert, wie er sieben Monate!! in einem Verließ in Libyen gefangen gehalten wurde. Er und seine ferne Familie wurde erpresst – Geld oder Sterben… Ein anderer erzählt mir davon, wie Beamte und Polizisten den Flüchtlingen die Papiere entreißen und nur gegen Geld zurückgeben. Ihre Flucht ist ein dramatischer Spießrutenlauf der Unmenschlichkeit, selbst in Europa, erfahren einige Gewalt. Manche schildern mir, wie sie in Ungarn von der Polizei!! misshandelt wurden.

Jeder von ihnen hat seine Geschichte und wenn man ihnen zuhört, blickt man aus dem sicheren Deutschland in eine Welt von Krieg und Zerstörung. Helfen ist ein Gebot der Menschlichkeit

(Vortrag zur Ausstellung, Bonn 2016)