Ein Interview zum Thema fake news. Es löste eine bemerkenswerte Reaktion aus: Noch mehr fake news….

Interview Dr. Norbert Lossau (Welt) & R.Yogeshwar

Ersterscheinung des Interviews am 26.1.2017: https://www.welt.de/wissenschaft/article161548265/So-will-Ranga-Yogeshwar-die- Demokratie-retten.html

Die Welt: Wir leben in einer Zeit, in der von alternativen Fakten gesprochen wird. Das führt auf die Frage: Gibt es überhaupt Wahrheit?
Ranga Yogeshwar: Eine Darstellung des Jüngsten Gerichts zeigt den Erzengel Michael, wie er mit einer Seelenwaage das Gute und Böse eines Menschen abwägt. Das ist der Moment der Wahrheit, der zwischen Himmel oder Hölle entscheidet. So einfach ist es in unserem irdischen Leben indes nicht. Es gibt meist nicht nur eine Wahrheit, sondern sie ist abhängig von der Perspektive. Nehmen wir als Beispiel militärische Drohnen. Die einen sagen, sie helfen Menschenleben zu retten und meinen damit ihre eigenen Soldaten. Die andere Perspektive ist, dass die Drohnen Menschen töten.

Die Welt: Bei diesem Beispiel schließen sich die beiden Sichtweisen doch nicht aus. Man kann sie nebeneinander stehen lassen.
Yogeshwar: Ja, und deshalb sollten wir lieber über Fakten als über den sehr breiten Begriff Wahrheit reden.

Die Welt: Einverstanden. Um den Wahrheitsgehalt von Fakten geht es ja schließlich in der aktuellen medienpolitischen Diskussion. Kommissionen sollen künftig Fake-News enttarnen. Was halten Sie davon?
Yogeshwar: Wir erleben gerade eine mediale Revolution. Fakten werden heute in großer Zahl von unterschiedlichsten Medien und mit verschiedensten Motiven verbreitet. Das führt zu einer Verunsicherung der Menschen, weil die Informationen oft widersprüchlich sind. Vor 40 Jahren war es noch so, dass mehr Informationen zu mehr Demokratie führten. Und die schwierige Aufgabe der Journalisten war die Beschaffung dieser Informationen. Heute erstickt ein Zuviel an Informationen unsere Demokratie.

Die Welt: Mehr Informationen führen also zu weniger Demokratie?
Yogeshwar: Ja, weil sie zunächst zur Verwirrung führen. Ein alltägliches Beispiel sind die Gütesiegel für Lebensmittel. Sie sind hilfreich, wenn es nur ganz wenige gibt. Heute existiert aber eine so große Zahl an Siegeln, dass die Bedeutung des einzelnen verblasst. Sie bieten kaum noch Orientierung. Ähnlich verhält es sich mit Nachrichten. Eine Nachricht aus einem vertrauenswürdigen Kanal ist für die Menschen hilfreich. Doch viele, sich widersprechende Nachrichten aus unzähligen Kanälen erzeugen Verwirrung. Das führt zu einer Vertrauenskrise und gefährdet am Ende die Demokratie. Es ist ja leider nicht immer so einfach, die Wahrheit herauszufinden, wie bei der Frage, wie viele Menschen bei der Amtseinführung von Donald Trump vor dem Capitol gestanden haben. Das lässt sich mit Luftbildern exakt klären. Bei anderen, Themen sind die Dinge nicht so einfach. Weil viele Menschen von der Vielfalt und Komplexität der Informationen überfordert sind, werden sie empfänglich für scheinbar einfache, populistische Antworten. Das ist die Gefahr.

Die Welt: War dann also die Welt noch in Ordnung, als es nur drei TV-Kanäle gab? Dort wurden bestimmt auch Fehler gemacht, doch es hat in der Regel keiner gemerkt.

 

 

 

Yogeshwar: Aber heute würde es auffallen, weil es die digitalen Medien gibt. Das ist das Positive. Auf der anderen Seite führen die vielen Kanäle zu einer so großen Flut an Informationen, dass wir kaum noch unterscheiden können, was eine glaubwürdige Nachricht ist. Wenn Donald Trump irgendetwas twittert, egal was, ist das wenig später in den USA eine Breaking News. In Deutschland ist das noch nicht so. Ein Tweet von Frau Merkel wird nicht unbedingt aufgegriffen. Doch bleiben wir bei Trump. Er nutzt Twitter de facto wie ein Massenmedium. Dieses Massenmedium unterliegt aber nicht den strengen medienrechtlichen Kontrollen, wie es bei klassischen Medien der Fall ist. Auf Twitter oder auch Facebook kann man Dinge behaupten, die nicht verifiziert sind, obwohl Hunderttausende oder gar Millionen diese Nachrichten empfangen. Wir haben es hier mit Massenmedien in einem gesetzlosen Raum zu tun. Daran muss dringend etwas geändert werden.

Die Welt: Wenn jemand in voller Absicht falsche Informationen in sozialen Netzwerken verbreitet, kann man ihn ja nicht daran hindern.
Yogeshwar: Noch nicht. Doch das ist machbar. Nehmen wir mal dieses Interview. Wenn da später in der Zeitung etwas gedruckt wäre, was ich überhaupt nicht gesagt habe, kann ich dagegen medienrechtlich vorgehen. Wenn das Gleiche bei Facebook passieren würde, hätte ich diese Möglichkeit nicht. Ich plädiere also dafür, dass wir bei den sozialen Medien ebenfalls gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, so dass man gegen Falschmeldungen rechtlich vorgehen kann.

Die Welt: Wie soll man dies mit deutschen Gesetzen erreichen, wenn es hier doch um Firmen geht, die ihren Sitz in den USA haben?
Yogeshwar: Ich denke, dass es möglich ist. Presserecht ist immer regional geprägt Das zeigte etwa 2016 die Löschung eines zeithistorischen Vietnambildes mit nackten Kindern bei Facebook. In Deutschland oder Europa haben wir in diesem Punkt ein anderes Verständnis. Presserecht ist also national, beziehungsweise europäisch verankert. Und Medien müssen nach den Regeln arbeiten, die der jeweiligen Kultur entsprechen. Das sollte auch für ausländische Medien gelten. In anderen Wirtschaftsbereichen funktioniert das doch bereits heute problemlos. Wenn eine ausländische Firma ein Auto in Deutschland verkaufen will, dann muss es die hier geltenden Vorschriften erfüllen und die TÜV-Prüfung bestehen. Warum sollte man also europäisches Recht nicht bei den digitalen Medien durchsetzen können? Europa muss bei den Massenmedien eine gewisse Souveränität behalten. Es gibt Staaten, die da schon weiter sind. Auch wenn das manchen verblüffen dürfte, will ich hier ausdrücklich China nennen. Dort gibt es mit WeChat ein eigenes Pendant zu WhatsApp. China behält eine gewisse Kontrolle darüber, welche Nachrichten ihr Land penetrieren. Das brauchen auch wir, um sicherzustellen, dass nicht das Betriebssystem unseres Landes gestört wird. Und Medien sind ein zentraler Teil des Betriebssystems von Staaten. Wenn wir von immer mehr Fake-News überschwemmt werden und keinerlei Möglichkeit haben, Dinge zu sanktionieren und zu unterbinden, wird das für unsere Demokratie gefährlich. Behauptungen aller Art stehen dann einfach im Raum und der gemeinsame gesellschaftliche Prozess erlahmt. Das kann zu Entgleisungen des Systems führen, die wir uns gar nicht ausmalen wollen.

Die Welt: Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass jeder Absender von Informationen in einem sozialen Netz Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes werden soll – das berühmte V.i.S.d.P.?

 

Yogeshwar: Genau, aber selbstverständlich erst ab einer gewissen Größenordnung. Nicht jeder Nutzer von Twitter oder Facebook betreibt ein Massenmedium. Erst wenn eine kritische Zahl von Empfängern erreicht wird, sollte Medienrecht zur Anwendung kommen.

Die Welt: An welche Größenordnung denken Sie da?
Yogeshwar: Ob die Schwelle bereits bei 20.000 oder vielleicht erst bei 100.000 liegt, da will ich mich jetzt nicht festlegen. Wenn man diesen Vorschlag politisch umsetzt, wird es das Geringste sein, sich hier auf eine Zahl zu einigen. Viel wichtiger wäre es, zugleich einen Mechanismus zur Finanzierung des Journalismus zu verankern. Bislang verdienen allein Facebook und Co. daran, wenn meine Beiträge geteilt und von vielen Menschen gelesen werden. Es wäre nur gerecht, wenn die Betreiber von sozialen Netzwerken einen Teil ihrer Gewinne an die Urheber der Inhalte abgeben würden.

Die Welt: Journalisten würden dann zu Gehaltsempfänger von Facebook und Twitter? Yogeshwar: Die klassischen Finanzierungmodelle der Medien sterben gerade aus. Den Zeitungen ist das Anzeigengeschäft weggebrochen, das heute separiert in digitalen Plattformen wie Immonet Gewinne erzielt. Journalismus konnte sich aber noch nie ganz aus eigener Kraft finanzieren. Wer angesichts der Bedrohung durch Fake-News einen besseren Journalismus fordert, muss auch darüber nachdenken, wie er sich finanzieren lässt. Mein Vorschlag schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen schenkt er Journalisten ein Business Modell. Zum anderen verankert er das Medienrecht. Kurzum: Man bekommt Geld für das, was man in sozialen Netzen verbreitet, muss sich dafür aber an Spielregeln halten. In der analogen Welt funktioniert das doch auch: In einem privaten Brief kann ich alles schreiben ohne dafür haftbar zu sein. Doch wenn ich etwas publiziere und viele Menschen erreiche, muss ich Regeln einhalten. Wir müssen dieses Prinzip nur in die elektronische Welt übertragen.

Die Welt: Machen Ihre Vorschläge nicht die klassischen Verlage obsolet?
Yogeshwar: Nicht unbedingt, doch sie werden auf jeden Fall eine neue Rolle bekommen. Neben einzelnen Journalisten können im Netz selbstverständlich auch Gruppen von Journalisten auf einer gemeinsamen Plattform arbeiten. Wichtig ist, dass dabei immer die presserechtlichen Grundsätze eingehalten werden.

Ich will keine Kommission,

die im Netz das Presserecht durchsetzt.

Die Welt: Wer soll das kontrollieren?
Yogeshwar: Ich will keine Kommission, die im Netz das Presserecht durchsetzt. Das könnte zu einem staatlichen Geschmackjournalismus führen. Ich setze auf Selbstreinigungsprozesse. Wie das im Detail funktionieren kann, müsste man noch überlegen. Doch ich bin mir sicher, dass das machbar ist.

Die Welt: Wäre es nicht von Vorteil, wenn Europa eigene digitale Strukturen und soziale Netzwerke hätte? Warum finden wir Anbieter in China, Russland, Indien oder den USA aber nicht in Europa?
Yogeshwar: Dafür habe ich mich ja gemeinsam mit Frank Schirrmacher schon vor Jahren eingesetzt. Europa braucht ein eigenes Google und ein eigenes Facebook. Die Idee ist also nicht neu aber nach wie vor aktuell. Wir müssen endlich begreifen, dass Suchmaschinen und soziale Medien zur kritischen Infrastruktur eines Landes gehören, so wie die nationale Stromversorgung. Niemand käme auf die Idee, in Europa auf eigene Kraftwerke zu verzichten und den Strom komplett aus den USA zu importieren. Das ist einfach eine Frage der Souveränität. Bei der Energieversorgung herrscht da Konsens.

Doch wir brauchen auch eine informationelle Unabhängigkeit. Vielleicht wird uns ja Donald Trump die Augen für diese Notwendigkeit öffnen.

Die Welt: Bei einem Treffen rechtspopulistischer Politiker waren jüngst Vertreter bestimmter Medien nicht zugelassen. Untergräbt nicht auch dieses Phänomen die Medien?
Yogeshwar: Ja, das ist ein ernstes Problem. Es lässt sich aber einfach lösen. Wenn Parteien Mittel aus Steuergeldern erhalten, muss man sie zugleich verpflichten, Journalisten auf Veranstaltungen zuzulassen. Wer sich nicht daran hält, bekommt schlicht kein Geld mehr.

Die Welt: Sie sind Wissenschaftsjournalist. Was bedeuten die angesprochenen Entwicklungen speziell für diese Sparte des Journalismus?
Yogeshwar: Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind oft der Motor für große gesellschaftliche Umbrüche – die künstliche Intelligenz und das gezielte Verändern des menschlichen Erbguts sind da nur zwei Beispiele. Es ist sehr wichtig über solche Entwicklungen in der Gesellschaft breit zu diskutieren. Es gibt ernst zu nehmende Wissenschaftler, die vor gefährlichen Konsequenzen der Künstlichen Intelligenz warnen. Wir könnten da in etwas hineinrutschen, was nicht mehr rückholbar ist. Umso wichtiger ist es, jetzt darüber eine Diskussion zu führen. Wissenschaftler tun das von sich aus zu wenig. Hier kommt der Wissenschaftsjournalismus ins Spiel. Journalisten müssen über wichtige neue Entwicklungen mögliche Szenarien informieren und Debatten anzuregen.

Wir müssen endlich begreifen, dass Suchmaschinen und soziale Medien zur kritischen Infrastruktur eines Landes gehören

Die Welt: Doch es gibt einen Trend zu weniger Wissenschaftsjournalismus.

Yogeshwar: Das ist eine Folge davon, dass wir insgesamt ein Problem mit dem Journalismus haben. Die Flächen für Wissenschaft waren in den Medien immer schon relativ klein. Wenn die schrumpfen bleibt eben kaum noch etwas übrig. Viele Fachjournalisten können bereits nicht mehr von ihrer Arbeit leben und durch das Zusammenlegen von Ressorts werden die Konturen des Wissenschaftsjournalismus diffus. Ich hoffe, dass dies langfristig nicht zu einem Verlust der Fachkompetenz führt, denn die wird dringend benötigt, gerade in Zeiten alternativer Fakten.

Die Welt: Sollten sich in dieser Situation nicht die Wissenschaftler selbst stärker engagieren und den Dialog mit der Gesellschaft aktiv suchen?
Yogeshwar: Sie sollten es, doch nur sehr wenige sind dazu bereit. Wie oft sehen wir denn in Talk-Shows Wissenschaftler, die sich an politischen Diskursen beteiligen? Praktisch nie. Forscher wollen in erster Linie forschen. Und wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten, dann geht es ihnen nicht so sehr um das inhaltliche Verstehen, sondern um die Akzeptanz ihrer Forschung. Das sind aber zwei Dinge. Über die gesellschaftlichen Konsequenzen von Wissenschaft wird leider viel zu wenig geredet. Auch das ist gefährlich.